Jahresrückblick 2023: Vom sicheren Fahrwasser in den politischen Eisregen

Ein Kommentar von Dirk Gieschen, Agrarjournalist, Tarmstedt

Einer beispielslosen Slalom-Talfahrt gleicht die Jahresbilanz 2023 für die deutsche Landwirtschaft: Vom erfolgreichen Jahresstart mit hohen Erzeugerpreisen, durch einen völlig verregneten Sommer mit nicht endenden Ernteschwierigkeiten bis hin zum politischen Tiefschlag kurz vor Weihnachten. Das Jahr 2023 hat die landwirtschaftlichen Betriebe und ihre Familien so durchgeschüttelt wie wohl selten ein Jahr zuvor.

Agrarkritiker nutzen die Chance der guten Vorjahresergebnisse

Besonders schockierend ist dabei, dass Politiker der Regierungsfraktionen und Agrarkritiker aus den Reihen der Nichtregierungsorganisationen (NGO) das historische Preishoch der Agrarmärkte zur Jahreswende 2022/2023 jetzt zum Maßstab nehmen, um neue Lasten für die deutschen Landwirten zu rechtfertigen. Besonders ein NGO-Vertreter stach bei dieser Art des „Rosinenpickens vorübergehender Preishochs“ heraus: „Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter hält den Wegfall der Subvention bei Agrardiesel angesichts rekordverdächtiger Agrar- und Lebensmittelpreise und zahlreicher weiterer Agrarsubventionen für verschmerzbar und angesichts der Klimakrise für notwendig“, ließ Greenpeace wissen.

Auf die hohen Preise folgte das Wetter-Desasterjahr 2023

Frei nach dem Motto: Die deutschen Landwirte haben das beste Jahr der Geschichte, jetzt können sie nicht nur die zusätzlichen Auflagen für Stall und Acker tragen, sondern auch noch statt der Gesamtheit der Dieselfahrer und Vielflieger einen Sonder-Sparbeitrag für die Sanierung des Bundeshaushalts leisten, könnte man meinen. Eine schwierige, weil bei sachlicher Betrachtung nicht gerechtfertigte Argumentation. Denn sie entstammt der isolierten Betrachtung eines einzelnen Wirtschaftsjahres ohne Blick auf die vorherigen und das jetzt laufende Jahr und ohne die Berücksichtigung der extremen regionalen Unterschiede im Wetter-Desasterjahr 2023.

Milchpreis-Boom und hohe Getreide- und Schweinepreise halfen den Betrieben

Ja, die Einschätzung der Jahresabschlüsse des Wirtschaftsjahrs 2022/2023 stimmt: „Im Durchschnitt lag das Unternehmensergebnis der Haupterwerbsbetriebe bei 115.400 Euro je Betrieb. Nach vielen schwachen Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Betriebe in den letzten beiden Jahren erheblich verbessert“, stellte der Deutsche Bauernverband (DBV) Anfang Dezember in seinem aktuellen Situationsbericht fest. Die Gründe liegen auf der Hand, so der Verband der Landwirtschaftskammern: „Der Boom auf dem Milchmarkt, international steigende Preise für Getreide und sinkende Schweinebestände führten im Wirtschaftsjahr 2022/23 zu einer deutlichen Steigerung der Gewinne.“ 

Wirtschaftsjahr 2023/2024: Kosten sinken langsamer als die Erlöse

In seiner aktuellen Pressemeldung relativiert der Verband aber die Erwartungen für das laufende Jahr sogleich: „Zum Jahreswechsel ist bereits ersichtlich, dass sich die Wirtschaftsergebnisse des laufenden Wirtschaftsjahres auf einem deutlich niedrigeren Niveau einpendeln werden. Festzustellen ist, dass die Preise auf der Kostenseite langsamer zurückgehen als die Preise für Getreide, Milchprodukte und Schweinefleisch.“

Durchschnittsniveau der Vorjahre zu niedrig für nachhaltige Entwicklung

Vor allem für die Tierhalter im Nordwesten und Norden Deutschlands sehen die Landwirtschaftskammern diese Entwicklung kritisch: „Mit Blick auf die vom Gesetzesgeber geforderten Investitionen für eine zukunftsweisende, nachhaltige Entwicklung eines Haupterwerbsbetriebes erscheinen Unternehmensergebnisse von 100.000 EUR erforderlich, um den Ansprüchen einer angemessenen Entlohnung und Risikodeckung zu entsprechen. Das Durchschnittsniveau von ca. 70.000 Euro im Zeitraum von 2017 bis 2022 ist davon noch weit entfernt. Daraus resultiert auch die Zurückhaltung bei Neuinvestitionen.“

DLG-Präsident bilanziert massive Probleme der Schweinehalter

Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) listet in seiner Bilanz die Probleme konkret auf: „In der Schweinhaltung hat die Situation der vergangenen Jahre ihre Spuren hinterlassen. Die Gesamtbestände und auch die Zahl der schweinehaltenden Betriebe haben sich nach den hohen Futterkosten, dem schlechten Absatz und den Gesetzesänderungen deutlich reduziert. Deutsche Ferkel haben mittlerweile Seltenheitswert. Auch die verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist dabei keine wirkliche Hilfe. Naheliegend wären verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in zukunftsfähige und markttaugliche Stallhaltungskonzepte.“

Politischer Eisregen: Agrardiesel-Beihilfe und Kfz-Steuer-Befreiung sollen gestrichen werden

In diese Gemengelage aus schwieriger Ernte 2023, wieder deutlich zurückgegangenen Erzeugerpreisen, ständiger Diskussion um die Zukunft der Tierhaltung in Deutschland, um weitere Einschränkungen von Pflanzenschutz und Düngung auf nationaler Ebene, dem Moorschutz und der Fokussierung des Bundesministeriums auf den Ökolandbau platzte nun auch noch die vorweihnachtliche Hiobsbotschaft wie ein Eisregen hinein: Die Agrardiesel-Beihilfe und die Kfz-Steuer-Befreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge wird gestrichen. 

Respektlos: Schuldzuweisungen innerhalb der Regierung statt Verhandlungen

Es mutet mittlerweile sowohl der Landwirtschaft als auch dem „Otto-Normalverbraucher“ unfassbar an, dass die Koalitionäre in Berlin sich gegenseitig die Schuld zuweisen, wer diese laut BMELV jährlich rund 900 Millionen Euro schwere Kostenbelastung für die deutschen Landwirte vorgeschlagen und beschlossen hat. Das ist mehr als respektlos gegenüber den Landwirten. Bundesminister Cem Özdemir weist die Schuld in einem Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, veröffentlicht am 18.12.2023, dem Tag der Berliner Demonstration, von sich: „Ich habe immer davor gewarnt, die Landwirtschaft überproportional zu belasten.“

Drohende Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern sind bekannt

Die weiteren Aussagen im Interview sind interessant: „Nehmen Sie die Agrardiesel-Beihilfe: Das haben wir nach einem Hinweis des Finanzministeriums schon im Sommer geprüft und dann politisch verworfen, weil die Belastungen zu hoch sind. Für unsere Landwirtschaft bedeutet das außerdem Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern, die vergleichbare Subventionen anbieten.“ Eigentlich genau die Argumente, die alle in Berlin vorher gekannt haben müssen. Selbst die Länderagrarminister haben sich durchweg gegen die Streichung der beiden Vergünstigungen ausgesprochen. Mecklenburg-Vorpommers Ministerpräsidentin Manuela Schwesig watschte die Regierungspolitiker und damit auch ihre Parteikollegen laut einem Bericht des NDR regelrecht ab: Die Pläne der Bundesregierung seien falsch und ein Zeichen mangelnden Respekts gegenüber der Landwirtschaft.“

Solidarität mit der Landwirtschaft wächst quer durch Bevölkerung und Politik

Die Solidarität mit der Landwirtschaft wächst seit Mitte Dezember enorm und in einem ungekannten Ausmaß. Topagrar-Chefredakteur Matthias Schulze Steinmann bezog sich in einem Kommentar zum Thema auf eine aktuelle Umfrage, laut der sich 70 % der Bevölkerung klar auf die Seite der Landwirte schlagen und sich für eine Zurücknahme der geplanten Streichungspläne aussprechen. „Die Liste der Unterstützer der Landwirtinnen und Landwirte ist lang. Und auffällig sind auch die vielen der „Bauernlobby“ eher unverdächtigen Akteure wie breite Teile der Medien“, so Schulze Steinmann.

Deutschlandfunk: Törichte Entscheidung der Bundesregierung

Ein besonderes Beispiel dafür ist der Kommentar von Ann-Kathrin Büüsker im Deutschlandfunk: „Es ist wichtig und richtig, klimaschädliche Subventionen abzuschaffen. Doch ausgerechnet in einem Sektor damit zu beginnen, in dem es bislang kaum Alternativen gibt, ist töricht. E-Traktoren sind bislang kaum verbreitet, zudem ist ihr Gewicht ein Problem.“ Büüsker ordnet die aktuellen Sparvorschläge in einen größeren Zusammenhang ein: Sowohl die Zukunftskommission Landwirtschaft als auch die Borchert-Kommission zur Verbesserung der Tierhaltung haben sehr konkrete Vorschläge vorgelegt, wie die Landwirtschaft gerechter, ökologischer und zukunftsfester werden kann. Umgesetzt wurde davon nichts.“ 

„Fußabtreter der Nation“ und „Vertrauensverlust in staatliche Strukturen“

Das Fazit von Ann-Kathrin Büüsker ist mehr als deutlich: „Die Bäuerinnen und Bauern fühlen sich wie die Fußabtreter der Nation und das teilweise zu Recht. Der Vertrauensverlust in staatliche Strukturen ist groß. Die Ampel-Koalition verspielt mit solchen Manövern nicht nur Vertrauen in ihre Regierungsfähigkeit, sondern in das demokratische System insgesamt. Selbst wenn die Regierung ihre Pläne wieder kippt, der Schaden ist enorm.“

Topagrar-Chefredakteur: Das Momentum des Verständnisses mit Anstand nutzen

Diese Welle des Verständnisses in breiten Kreise von Bevölkerung, Medien und Politik gilt es nun nicht zu schädigen. Das stellt auch Topagrar-Chefredakteur Matthias Schulze Steinmann warnend heraus: „Genau dieses Momentum gilt es zu nutzen. Mit offenen Worten, (angemeldeten) Demos und Aktionen ab dem 8. Januar. Im Zweifel auch robust und entschlossen, aber jederzeit frei von Gewalt und von den Regeln des Anstands und des gesellschaftlichen Miteinanders getragen.“

Kein Respekt ohne Respekt – Demokratien kennen keine Galgen

Bei allem Verständnis für die massive Verärgerung der Branche: Diese Warnung müssen alle Demonstrierenden beherzigen. Respekt für seine Arbeit und sein Anliegen kann nur erwarten, wer auch Anderen wenigstens grundlegenden Respekt zollt – und wer dies auf dem Boden der Demokratie tut. Aber eines ist klar: Demokratien kennen keine Galgen. Die Landwirtschaft und die gesamte Agrarbranche sollten ihre Anliegen selbstbewusst vertreten – aber sich von Kräften, die sich nicht benehmen können oder gar vom demokratischen Kurs abzukommen drohen, klar distanzieren. Der Bauernverband hat dies in einem Social-Media-Post bereits getan. 

Das Wichtigste in Kürze:

✅ Welche Risiken bestehen beim Einsatz von Tankmischungen bei Pflanzenschutzmaßnahmen?

Das größte Risiko bei Tankmischungen besteht in der Ausflockung einzelner Mittel, die zu teilweisen oder vollständigen Verstopfungen der Düsen führen kann. Dadurch wird die Ausbringung ungleichmäßig oder sogar verhindert. Zudem kann die Feldspritze Schaden nehmen.


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Welche Trends gibt es in der Pflanzenschutztechnik – und wie sieht die Zukunft des Pflanzenschutzes in Deutschland überhaupt aus? Kann ich in Zukunft eigentlich noch auf den chemischen Pflanzenschutz setzen und wenn ja, mit welcher Technik? Diese Fragen haben sich ...

Stand: 03.01.2024